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Krankenhäuser ohne Papst-Standard

Brasilianer machen rund um Großereignisse das marode Gesundheitssystem zum Politikum

  • Andreas Knobloch
  • Lesedauer: 3 Min.
Das staatliche Gesundheitssystem in Brasilien garantiert jedem Brasilianer eine kostenlose Grundversorgung. Trotzdem ist die unzureichende medizinische Versorgung einer der Schwerpunkte der Sozialproteste, die seit Wochen landesweit stattfinden.

Zuerst der Fußball-Confed-Cup, nun der Papst-Besuch. Viele Brasilianer nützen auch die Großereignisse, um ihren Unmut über gesellschaftliche Missstände kundzutun. Ende Juni bezeichneten fast die Hälfte der Befragten die Unzulänglichkeiten des Gesundheitssystems als größtes Problem. Auf dem zweiten Platz landete übrigens Bildung mit gerade einmal dreizehn Prozent.

Das Problem ist der brasilianischen Regierung durchaus bekannt. »Es fehlen Ärzte in diesem Land. Und die, die es gibt, sind schlecht verteilt«, sagt der junge, aber als kompetent geltende Gesundheitsminister Alexandre Padilha. Nach einer Studie der Regierung fehlen landesweit rund 50 000 Mediziner. Auf tausend Einwohner kommen gerade einmal 1,8 Ärzte, etwa halb so viel wie in den Nachbarländern Argentinien und Uruguay. Die Liste auf dem Subkontinent wird angeführt von Kuba mit 6,7 Ärzten auf 1000 Einwohner.

Hinzu kommt das Verteilungsproblem. Während der reiche Süden und Südosten Brasiliens sowie der Hauptstadtdistrikt eine mit Europa vergleichbare Ärztedichte aufweisen, fehlen in den Bundesstaaten im Nordosten und dem Amazonas-Gebiet Fachkräfte.

Es gibt Stimmen, die meinen, das sei vor allem ein Strukturproblem: Die Stellen im Landesinneren böten wenig Spezialisierungsmöglichkeiten und kaum Aufstiegschancen; Ärzte mit Familie hätten zudem Probleme, adäquate Schulen für ihre Kinder zu finden.

Auch die geringe Anzahl von Spezialisten im öffentlichen Gesundheitssystem ist problematisch. Die Behandlung komplizierter Fälle ist daher oft mit vielen Schwierigkeiten verbunden. Eine private Gesundheitsversorgung können sich weiterhin nur sehr wenige Brasilianer leisten.

Bereits Anfang Mai ließ die brasilianische Regierung verlauten, sie wolle Fachkräfte aus dem Ausland, unter anderem 6000 kubanische Ärzte, anwerben - gefolgt von einem lauten Aufschrei der brasilianischen Ärzteverbände. Diese, allen voran die Ärztekammer CMF, äußerten Zweifel an der Qualität der medizinischen Ausbildung in Kuba. Die Verteidigung eigener Privilegien vermischte sich offenbar mit ideologischen Gründen. Jedenfalls lenkte die Regierung recht bald ein. Stattdessen sollen nun Fachkräfte aus Spanien und Portugal angeworben werden. Laut Gesundheitsminister Padilha hätten diese »mehr Garantien, wenn es um die Spezialisierung von Ärzten geht«. Auch in ihren Ansprachen während der Sozialproteste sagte Präsidentin Dilma Rousseff, dass man tausende ausländische Ärzte ins Land holen würde, um die Gesundheitsversorgung flächendeckend zu gewährleisten.

Bei der Vorstellung des Programms »Mais Médicos« (Mehr Ärzte), das am 8. Juli provisorisch in Kraft gesetzt wurde, stand die Anwerbung ausländischer Ärzte plötzlich nicht mehr im Vordergrund , »sondern die Gesundheitsversorgung im Landesinneren zu garantieren«, so Rousseff. In Brasilien registrierte Ärzte haben dabei Vorrang. Die dann noch offenen Stellen sollen an im Ausland tätige brasilianische Ärzte und erst danach an ausländische Fachkräfte vergeben werden. Brasilianischen Ärzteverbänden reicht das nicht: Sie fordern eine Prüfung der Qualifikationen sowie den Nachweis von Sprachkenntnissen. Ärzte, die nicht in Brasilien studiert haben, müssen normalerweise eine recht schwierige Fachprüfung absolvieren, durch die jedes Jahr ein sehr hoher Prozentsatz durchfällt - ein Instrument, um den Zugang zum brasilianischen Arbeitsmarkt zu erschweren. Über »Mais Médicos« ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.

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