Streit um Schamgrenzen

Sexuelle Vielfalt als fächerübergreifender Lehrinhalt? Demos in Stuttgart am Rande der Hysterie

  • Lesedauer: 2 Min.
Die Vermittlung von »Akzeptanz sexueller Vielfalt« im Schulunterricht - das will Baden-Württemberg fächerübergreifend im Bildungsplan verankern. Dagegen und dafür demonstrierten Hunderte Menschen.

Stuttgart. Man sieht ihnen an, dass sie das Demonstrieren nicht gewohnt sind. Rund 600 Frauen und Männer versammeln sich auf dem Stuttgarter Schlossplatz, um gegen den derzeit leidenschaftlich diskutierten baden-württembergischen Bildungsplan 2015 zu protestieren. Viele zählen zur älteren Generation, wirken bürgerlich. Ihre Plakate sind handgeschrieben. »Sex in jedem Fach? Nein danke«, heißt es da.

Ihr Protest gilt dem Vorhaben der grün-roten Landesregierung, künftig an den Schulen fächerübergreifend für die »Akzeptanz sexueller Vielfalt« zu werben. Die Kinder sollen früh lernen und anerkennen, dass es neben Heterosexuellen auch Schwule, Lesben, Bisexuelle, Transsexuelle und weitere Varianten der geschlechtlichen Orientierung gibt. Gegen diesen Plan haben mehr als 192 000 Menschen eine Petition unterzeichnet.

Zwei Petitionen, die den Bildungsplan befürworten, erreichten rund 88 000 und 136 000 Unterschriften. In ihrem Sinne finden sich 500 Teilnehmer einer Gegendemonstration zusammen, die zeitgleich weniger als 200 Meter Luftlinie entfernt auf dem Schillerplatz beginnt. Grüne, LINKE, Christopher Street Day (CSD) Stuttgart und ein Netzwerk von Menschen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen haben eingeladen. Unterstützung gibt es von Gewerkschaften und der Giordano-Bruno-Stiftung.

Der Grünen-Landesvorsitzende Oliver Hildenbrand wirft den Bildungsplan-Kritikern vor, sie wollten hetzerisch Ängste und Vorurteile schüren. Sexuelle Orientierung sei kein Lebensstil, sondern fundamentales Menschenrecht. Christoph Michl vom Vorstand des CSD Stuttgart ruft den Demonstranten zu, dass die Akzeptanz sexueller Vielfalt hart erarbeitet werden müsse. Er bekräftigt Forderungen nach einer Öffnung der Ehe und nach einem Adoptionsrecht für homosexuelle Paare.

Die Gegner des Bildungsplans fühlen sich in ihrer Kritik missverstanden. »Wir sind nicht homophob«, sagt unter lautem Jubel Sprecher Hans Christian Fromm aus Heidelberg. Doch wehre man sich gegen eine »staatlich verordnete Frühsexualisierung«, die zudem grundgesetzwidrig sei. Die Sprecherin der »Initiative Familienschutz«, Hedwig von Beverfoerde, wirft in einem Grußwort den Autoren des Bildungsplans vor, die Ehe zwischen Mann und Frau zu einer »simplen sexuellen Spielart« herabzustufen. Durch zu frühe Konfrontation mit verschiedensten sexuellen Formen und Praktiken werde das Schamgefühl der Kinder verletzt.

Während die Befürworter des Bildungsplans friedlich am Schiller-Denkmal ihre Argumente ausbreiten, sehen sich die Kritiker teilweise heftigen Störungen ausgesetzt. Schon vor dem eigentlichen Start brüllt eine als Clown verkleidete junge Frau: »Hätt’ Maria abgetrieben, wärt Ihr uns erspart geblieben.« Während der Kundgebung reißen Störer mehrfach das Mikrofonkabel aus der Buchse und funken mit Sprechgesängen dazwischen - die Polizei muss eingreifen. Vor dem Neuen Schloss wird der Druck der Gegendemonstranten schließlich zu groß. Die Bildungsplan-Kritiker verzichten darauf, wie geplant bis vors Staatstheater zu ziehen, und brechen die Veranstaltung ab. epd/nd Kommentar Seite 4

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