Dröhnchen dreht noch eine Runde

In den Sophiensaelen wird »Die Geschichte vom Soldaten Elik« erzählt

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 4 Min.

Es steht im Schatten, bevor das Stück beginnt. Man sieht es kaum, das Wesen in der Burka. Noch wird nicht erkennbar, welche Rolle ihm in seinem Textilversteck zukommt. Es sind dann viele. Die Burka entfaltet sich zum rechteckigen weißen Bezug. Das Wesen darin krabbelt, rollt, kauert sich hin, schmiegt sich an, spannt sich zur Projektionsfläche auf, legt sich auch schützend über den Mann, wenn er erschöpft am Boden liegt.

Märchenhaft wirkt diese Omnipräsenz und soll es sein im Musik-Tanz-Theater »Die Geschichte vom Soldaten Elik«, inszeniert von Santiago Blaum in den Sophiensaelen. Die Bühne schloss es ins Monatsthema »Krieg im Frieden« ein. Schließlich gibt es das »100. Jubiläum des industriellen Krieges« zu begehen. Gemütlich im Sessel sitzend lassen sich heute Land und Leute in die Luft jagen. Nicht, dass in alter Zeit mit Speer oder Keule aufeinander stürzende Krieger eine schöne Schlachtfeldvorstellung gegeben hätten. Die jedoch, dass man zum Töten nicht einmal den Hintern heben muss, ist diabolisch. Im Theatersaal surrt zeitweise eine kleine »Drohne« durch die Luft.

»L’histoire du soldat« von Igor Strawinsky (Musik) und Charles Ferdinand Ramuz ist die Vorlage für Eliks Geschichte. Er war israelischer Elite-Soldat, bevor er nach Deutschland kam, um an seiner Karriere als zeitgenössischer Tänzer zu arbeiten. »Camouflage« sei seine Aufgabe gewesen. Das Wort, bei dem einem Theater und Make up vorschwebt, steht hier für das Tarnen von Sprengfallen. Das weiße Wesen schmiegt sich mal kurz an den imaginären Felsen (Bühne: Cristina Nyffeler), um das vorzuführen. Weg ist es - bei raffiniertem Licht (Benjamin Schälike).

Fürs Wandertheater hatten Strawinsky und Ramuz das Stück 1917 geschaffen und sich dabei auf russische Märchen gestützt. Sie kamen schnell zur Sache. Daran lehnt Blaum es an. Ergänzt um aktuelle Erlebnisse, erhält er den ursprünglichen Inhalt vom Soldaten, der auf dem Weg nach Hause dem Teufel begegnet, sich auf ein Tauschgeschäft mit ihm einlässt und ihm vermeintlich drei Tage lang in sein Reich folgt, die sich später jedoch als Jahre entpuppen. Warum er danach keine Ruhe mehr findet, bis er eine Liebste entdeckt, ist logisch nachzuvollziehen. Ob der Soldat den Teufel wieder loswird, ist allerdings eine andere Sache.

Johanna Lemke regt sich geschmeidig als verhülltes Wesen, das sich später entpuppt. Zumeist behutsam ist ihre ganze Choreografie für das Stück. Elik Niv tanzt eindrucksvoll kraftvoll. Dennoch bleiben seine Bewegungen weich und deuten damit auf das Schicksal des verwundbaren einzelnen Soldaten als Werkzeug in der Kriegsmaschinerie. Als Teufel kommt Tatiana Saphir ins Spiel. Hier hört die Geschmeidigkeit auf. Die Gestalt ist eindeutig.

Eva Löbau tritt als Erzähler auf und gibt den Handelnden Stimmen. In Stiefel, Hose und Norwegerpullover mit Pinguinmuster gekleidet, agiert sie als Sprecherin so, als staune sie selbst, was sich alles in der Geschichte abspielt. Die Moral, dass man nicht begehren soll, was früher war, und man nicht der sein kann, der man mal war, spricht Löbau als Elik.

Der Erzähler von heute ist natürlich ein richtiger Moderator und lässt das Publikum Fragen stellen. Die - auch von Löbau gesprochen - können dann blöder nicht sein. Über: »Und das hat Elik wirklich alles selbst erlebt?«, geht kaum eine hinaus. Dass der Regisseur dabei Eva Löbau nur weiblich erscheinende Stimmen für die Fragen imitieren lässt, kann ja wohl nicht sein Ernst sein.

Interessant, dass Blaum in seine Inszenierung etwas über die Arbeitsweise des Komponisten Strawinsky einbringt. Musikalisch unterstützt, schildert der Erzähler Versuche serieller Techniken und sich überlagernder Rhythmen.

All das ist derart gemacht, dass sich das sehenswerte 90-minütige Stück über den kalten Hauch des Krieges erhebt. Zurückgedrängt sind anfängliche Bilder eines Videokriegsspiels. Vergessen sind sie nicht. Das Teuflische bleibt im Raum. Das Dröhnchen dreht noch ein paar Runden. Wer auch immer behält uns im Auge.

Nächste Vorstellungen: 29. und 30.3., 20 Uhr, Sophiensaele, Sophienstr. 18, Mitte, Tel.: (030) 283 52 66, www.sophiensaele.com

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal