Nazis importieren Unruhe

120 Menschen demonstrierten gegen NPD-Kundgebung in Weißensee

  • Paul Liszt
  • Lesedauer: 3 Min.
Die NPD-Proteste gegen eine neue Flüchtlingsunterkunft in Weißensee werden aus anderen Pankower Stadtteilen organisiert, da die Rechten vor Ort zu schwach sind. Grund zur Beruhigung ist das nicht.

»Nationalismus raus aus den Köpfen«, gibt ein junger Mann mit Megafon auf der Kundgebung an der Rennbahnstraße den Takt an. Etwa 120 Menschen sind am Samstagmorgen dem Aufruf von Antifagruppen und Parteien nach Weißensee gefolgt. Sie wollen die 260 Asylsuchenden, die voraussichtlich Ende des Jahres in ein ehemaliges Hotel im Stadtteil einziehen, willkommen heißen. Außerdem sind sie gekommen, um einer zeitgleich stattfinden Kundgebung der NPD gegen die geplante Unterkunft eine Absage zu erteilen. Fast zwei Stunden sind die Klatschpappen, die das Netzwerk »Berlin gegen Nazis« vor Ort verteilt hatte, bereits im Einsatz, als der erste Ton von den Rechten zu hören ist. »Verschaukelt« fühle man sich »vom System«, empört sich der erste Redner in unverkennbaren fränkischen Dialekt über den von der Polizei zugewiesenen Kundgebungsort. Neben den 29 gekommenen Anhängern aus Berlin und Brandenburg, dürfte jedoch nur der kleine Journalistenpulk auf der anderen Straßenseite von den Klagen des stellvertretenden Berliner Landesvorsitzenden Uwe Meenen Notiz genommen haben.

»Ähnliche Szenen wie in Hellersdorf darf der Bezirk Pankow in Weißensee auf gar keinen Fall zulassen«, fordert der Abgeordnete Oliver Höfinghoff (Piraten), der mit seiner Partei mit zur antirassistischen Kundgebung aufgerufen hatte. Tatsächlich tut sich schon einiges im Bezirk, berichtet Andreas Ziehl von der Pankower Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus »Moskito«. »Es gibt ein sehr starkes Engagement für Flüchtlinge im Bezirk«, sagt Ziehl. Er verweist auf die im letzten Jahr bezogene Unterkunft in der Mühlenstraße. Dort hätten sich frühzeitig Unterstützer im Netzwerk »Pankow hilft« organisiert. In einem örtlichen Jugendclub wird etwa regelmäßig ein Flüchtlingscafé angeboten, dort besteht die Möglichkeit, mit den Neu-Pankowern ins Gespräch zu kommen. Das ist wohl auch ein Grund, warum die Strategie der Rechtsextremen, nach Hellersdorfer Vorbild über eine Facebookseite Anwohner in ihre rassistische Hetze einzubinden, vorerst gescheitert ist. »Lebendige Demokratie bemisst sich am Umgang mit Geflüchteten«, betont Markus Tervooren, Geschäftsführer der Berliner VVN-BdA. Eine Erweiterung des Unterstützerkreises für die Flüchtlinge in der Rennbahnstraße ist bereits geplant.

Untätig sind die Rechtsextremen im Bezirk indes nicht. Andreas Ziehl hat in den letzten Monaten eine »Reaktivierung« der lokalen Neonaziszene beobachtet. Zunächst habe eine lose Gruppe von jugendlichen Neonazis vor allem mit Drohungen gegen Engagierte und vermeintliche politische Gegner auf sich aufmerksam gemacht. Aktuelle versuche sich die Pankower NPD wieder als politischer Akteur ins Spiel zu bringen.

Auf der Pankower Facebookseite der rechtextremen Partei wird regelmäßig über die Verteilung von Flugblättern oder zuletzt über den Besuch zweier Aktivisten in der Bürgersprechstunde des Bezirksbürgermeisters berichtet. Die Aktionen werden von den immer gleichen »Kernaktiven« aus den nördlichen Pankower Ortsteilen, etwa aus Buch, getragen, hat Martin Sonnenburg von der Gruppe »Northeast Antifascists« beobachtet. Die Kundgebung nennt er deshalb einen »Bucher Import«. Entwarnung will er für Weißensee nicht geben. Sonnenburg verweist auf einen Sprengstoffanschlag, den militante Neonazis 1993 auf eine damalige Flüchtlingsunterkunft ebenfalls in der Rennbahnstraße verübten.

Nach 60 Minuten Kundgebung räumen die Neonazis schließlich mit Sack und Pack das Feld. Maria Fank, Berliner Landesvorsitzende der NPD-Frauenorganisation, musste allerdings ohne ihren Jutebeutel den Heimweg antreten. Der zotige Spruch darauf, der die aufgedruckten Köpfe von Karl Marx und Friedrich Engels kommentiert, hat Ermittlungen wegen des Verunglimpfens des Andenkens Verstorbener zur Folge.

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