Drohende Gefahr droht gefährlich zu werden

Die Polizei in Bayern könnte mit einem neuen Gesetz ungekannte präventive Befugnisse erhalten

  • Johannes Hartl
  • Lesedauer: 4 Min.

Für Datenschützer ist es ein Albtraum auf 101 Seiten. In seiner jüngsten Plenarsitzung hat der bayerische Landtag vorige Woche in erster Lesung über eine Novellierung des Polizeiaufgabengesetzes (PAG) beraten, das die rechtlichen Möglichkeiten der Behörde normiert. Im Zuge dieser geplanten Neuerung sollen einerseits EU-Datenschutzrichtlinien und Urteile des Bundesverfassungsgerichts eingearbeitet werden, um ein polizeiliches Arbeiten gemäß der aktuellen Rechtsprechung zu ermöglichen. Doch ist das allenfalls ein kleiner Teil des PAG, das Innenminister Joachim Herrmann (CSU) stolz als wichtigen Baustein seiner Sicherheitspolitik vorgestellt hat.

Andererseits sieht das Gesetz eine Ausweitung der polizeilichen Befugnisse im präventiven Bereich vor, die alles bisher Dagewesene übersteigen. Es ist in dieser Form das schärfste Polizeigesetz aller Bundesländer, ausgestattet mit ungeahnten Möglichkeiten, die bereits im Vorfeld einer Straftat greifen. Dabei dient die »Gefahr oder die drohende Gefahr« als zentraler Begriff - eine Terminologie, die 2017 eingeführt wurde. Sie sollte damals die rechtlichen Möglichkeiten schaffen, um sogenannte Gefährder mit einer elektronischen Fußfessel zu überwachen, selbst wenn ihnen die Planung konkreter Straftaten nicht nachgewiesen werden konnte.

In der aktuellen Novellierung des PAG wird dessen Verwendung noch erheblich ausgeweitet. So können künftig wegen einer »Gefahr oder drohenden Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut« durch die Polizei Vermögensrechte und Daten sichergestellt, Eingriffe in den Telekommunikationsbereich vorgenommen und die Post beschlagnahmt werden. Was genau als eine »drohende Gefahr« gilt, ist jedoch alles andere als eindeutig. Schon bei der Einführung des Begriffs im letzten Jahr hatten Kritiker darauf hingewiesen, dass keine einheitliche Definition existiert. Es bestehe damit eine Rechtsunklarheit, die letztlich zu einer willkürlichen Anwendung führen könnte.

Außerdem gibt es eine Reihe von Maßnahmen, die auf modernste Technologie zurückgreifen. Unter anderem ist es mit dem neuen PAG möglich, bei öffentlichen Versammlungen von einzelnen Teilnehmern offene Bild- und Tonaufnahmen anzufertigen - vorausgesetzt, es gibt »tatsächliche Anhaltpunkte« für eine Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung oder für eine Straftat. In solchen Situationen dürfen dann auch Systeme zur »automatischen Erkennung und Auswertung von Mustern« eingesetzt werden, »soweit dies die jeweilige Gefahrenlage aufgrund entsprechender Erkenntnisse erfordert«. Wenn es nicht möglich ist, einzelne Personen gezielt aufzunehmen, darf sogar das gesamte Versammlungsgeschehen aufgezeichnet werden. Selbst eine Personenerkennung ist unter gewissen Voraussetzungen denkbar.

Weitere Neuerungen gibt es darüber hinaus bei V-Personen und verdeckten Ermittlern. Deren Einsatz kann nach langjähriger Unklarheit in Zukunft problemlos erfolgen und muss lediglich in solchen Fällen durch einen Richter genehmigt werden, wenn er sich gegen eine einzelne Person oder gegen eine nicht-allgemein zugängliche Wohnung richtet. Gleichzeitig wird mit dem PAG eine erweiterte DNA-Analyse eingeführt, die als besonders weitreichender Eingriff in die persönliche Sphäre gilt. Mit deren Hilfe sollen bei unklarem Spurenmaterial auch das Geschlecht, die Haut- und Augenfarbe sowie andere Merkmale bestimmt werden können. Die Genauigkeit eines solchen Verfahrens gilt allerdings als zweifelhaft, da sich laut Experten bloß eine wahrscheinliche Voraussage treffen lässt, aber keine sichere Feststellung. Dadurch könnten Ermittlungen in eine falsche Richtung laufen, bemängeln Experten.

Bei Datenschützern sorgt das für Besorgnis. »Das bayerische PAG räumt der Polizei mit der jetzigen Novelle viele geheimdienstliche Befugnisse ein«, sagt die fraktionslose Landtagsabgeordnete Claudia Stamm, die 2017 aus Protest gegen die Grünen ihre Partei verlassen hatte. Sie sieht durch den Entwurf das Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten verletzt. Zudem äußert sie Bedenken beim vagen Begriff der »drohenden Gefahr«, der eine zentrale Rolle einnimmt. »In den meisten Fällen und in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind massive Grundrechtseingriffe nur bei einer hinreichend konkreten Gefahr zulässig. Davon weicht Bayern mit der ›drohenden Gefahr‹ ab«, sagt Stamm dem »nd«. »Das heißt, es geht nicht um die Verfolgung von Straftaten, sondern alle Maßnahmen können angewendet werden, bevor etwas geschieht.«

Eine Sorge, die man bei der SPD und den Grünen im Landtag teilt. »Ich weiß natürlich, dass man gut argumentieren kann, dass die Abwehr von Gefahren wichtiger ist als die Verfolgung begangener Straftaten«, sagte der SPD-Rechtspolitiker Franz Schindler im Plenum. »Wer das aber zu Ende denkt, der landet notwendig bei einem Präventionsstaat, der die Freiheit all seiner Bürger einschränken muss, wenn er verhindern will, dass Straftaten überhaupt entstehen. Da stellt sich schon die Frage, ob wir das wollen.«

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